Operationseinsatz Chitipa/ Kaseye, Malawi, 2/23

Wegen des Flughafenstreiks starten wir einen Tag später als geplant. Die Maschine von Adis Abeba (Hauptstadt Äthiopien) nach Lilongwe (Hauptstadt Malawi) ist überbucht und nur knapp bekommen wir unser gesamtes Team in den Flieger.

Malawi, eins der ärmsten Länder des afrikanischen Kontinents, liegt zwischen Tansania im Norden, Mozambique im Osten und Süden, sowie Sambia im Westen am langgestreckten Lake Malawi. In der Regenzeit von November bis Mai eher grün und tropisch, ist es aber im fortschreitenden Klimawandel gebeutelt von immer extremeren Wetterereignissen. Einen Tag nach unserer Abreise erreichte ein Zyklon den Süden des Landes mit verheerenden Folgen.

Unser Transport von der Hauptstadt in den extremen Norden, 50km vor der tansanischen Grenze zieht sich bis zum nächsten Nachmittag (670 km auf zum großen Teil ganz guter Asphaltstraße), mit Zwischenstopp in Mzuzu (drittgrößte Stadt von Malawi),.

In unmittelbarer Nähe des kirchlichen Krankenhauses von Kaseye sind wir in dem Haus eines schweizer Ehepaares untergebracht. Sie verbringen einen wesentlichen Teil des Jahres hier und haben gemeinsam mit Interplast einen OP Trakt mit zwei Operationssäälen gebaut. Die eigentlich vorhandene Solaranlage ist während unseres Aufenthaltes nicht am Start, ein Blitzschlag hat sie zerstört und alle Reparaturbemühungen sind bisher erfolglos gewesen. Wir versuchen die für uns zum Operieren und Narkotisieren notwendige Technik in Gang zu bringen, was uns nach einigen Stunden gelingt. Das Materiallager ist dank Interplast gut gefüllt, und da wir eigentlich im 15 km entfernten staatlichen Krankenhaus von Chitipa operieren wollen, können wir uns hier noch mit einigen notwendigen Dingen eindecken. Wir beschließen auch zwei Tage in Kaseye zu operieren.

Am nächsten Tag, gleichzeitig auch unser erster OP Tag in Chitipa,15km entfernt. Es werden erste Patientenscreenings durchgeführt, in den folgenden Tagen werden immer wieder Patient*innen eintrudeln, die durch Mundpropaganda von unserer Anwesenheit gehört haben. Sie werden sogar aus dem Nachbarland Tansania kommen. Im Gegensatz zu Malawi ist die Gesundheitsversorgung in Tansania kostenpflichtig. Eine horrende Korruption im Gesundheitswesen treibt die tansanische Bevölkerung über die Grenze, da die Gesundheitsversorgung in Malawi kostenlos ist. Hypertonus, Diabetes, normale Operationen sind hier kostenfrei. Die Familien versorgen ihre Angehörigen im Krankenhaus mit Essen und Kleidung und schlafen unter den Betten, da sie oft von weither kommen. Speziellere Behandlungen, ungewöhnlichere Medikamente, die nur in der „ersten Welt“ hergestellt werden, wie z.B. die nach Strumektomie (Entfernung einer vergrößerten Schilddrüse) lebensnotwendige Hormonbehandlung in Tablettenform, müssen allerdings auch malawische Bürger*innen aus eigener Tasche bezahlen. Die dafür notwendigen 15€ pro sechs Monate können die extrem armen Menschen aus Malawi oft nicht aufbringen und die monströsen und hoch symptomatischen Kröpfe mit Luftnot und Schluckstörungen können dann ohne gesicherte postoperative Hormonbehandlung nicht operiert werden. Ob die internationale Versorgung mit Schilddrüsenhormonen gewährleistet bleibt, ist dann die nächste Unwägbarkeit.

Solche und ähnliche essentielle Fragen müssen mit Übersetzer*innen geklärt werden, eine nicht immer leichte Übung. Malawi hat eine Analphabetenrate von ca 40% und mindestens 10 komplett unterschiedliche Stammessprachen. Amtssprache ist Englisch (Linksverkehr). Die meisten Menschen besuchen, wenn überhaupt, die Primary School, die zwar kostenlos ist, aber unter suboptimalen Bedingungen stattfindet. (extrem lange Schulwege, bis zu 100 Kinder pro Lehrkraft, keine Bücher, keine Hefte, keine Stifte, defekte Schulgebäude ohne Toiletten usw.). Weiterführende Schulen sind teuer und extrem anspruchsvoll, unter den vorherrschenden Bedingungen für den Großteil der Bevölkerung nicht erreichbar. Eine Verständigung unter diesen Bedingungen ist reine Glückssache. Die körperliche Untersuchung und unsere gemeinsame Gesamteinschätzung ist alles, was wir vor diesen teilweise großen und langen Eingriffen haben, sowie ein Blutbild und einen HIV Test.

Nach drei Stunden intensivster Vorbereitung, McGyver-artigen Lösungen und viel Optimismus geht es dann endlich los. Wir starten mit einer kleineren Test-OP, dann kommt die erste Strumektomie. Der Strom fällt mehrfach aus. Strom ist leider für das OP-Team eine unabdingbare Grundvoraussetzung. Im Laufe unseres Aufenthalts verschwindet mehrfach der auf dem Schwarzmarkt organisierte Diesel für den Notstromgenerator. Der Kompressor für das Narkosegerät fällt aus, die Sauerstoffflasche, mühsam in Kaseye organisiert, bekommt immer wieder Beine. Wenn bei Stromausfall die Oxygenatoren ausfallen, gibt es genau diese eine Flasche für das ganze Krankenhaus. Ab Mittag gibt es oft kein Wasser mehr, das wird dann aus Eimern geschöpft. Es ist manchmal anstrengend, die Ursache für die vielen unterschiedlichen Probleme zu finden und die OP Tage sind lang. Nur in einem gut funktionierenden Team sind solche Situationen im Sinne der Patient*innen lösbar, kein Terrain für Anfänger*innen oder Einzelkämpfer*innen.

In den acht OP-Tagen operieren wir 40 Patient*innen, davon 5 riesige Strumen. Wir produzieren keine unlösbaren Probleme, am Ende unserer Zeit sind alle Patient*innen wohlauf. Auch in Kaseye operieren wir wie geplant noch 2 Tage, auch dort läuft alles rund, wenn man von einem sintflutartigen Regen absieht, der für mehrere Stunden alles lahmlegt.

Insgesamt Dank des legendären Teams mit Operateur und Operateurin sowie zwei instrumentierenden OTA´s aus Leverkusen und zwei Anästesistinnen und einem Aästhesiepfleger aus Dortmund, konnten wir einen wirklich effektiven Operationseinsatz mit dem Schwerpunkt Schilddrüsenchirurgie im äußersten Norden von Malawi durchführen. In  dieser Konstellation haben wir zwar das erste, aber sicher nicht das letzte Mal zusammen gearbeitet!

 

Dr Werner Wagner (Leverkusen)

Dr Jeanette Giehl (Leverkusen)

Yasemine Dermane (Leverkusen)

Ricarda Guso (Leverkusen)

Dagmara Lorenc (Dortmund)

Ramin Assadian (Dortmund)

Anja Kugler (Dortmund)