
Bericht Dr. Christiane Bär-Benzing
Seit 2011 bin ich ein bis zweimal pro Jahr als Anästhesistin am Sushma Koirala Memorial Hospital (SKMH) in Nepal tätig. Mein diesjähriger Frühjahrseinsatz war bereits mein 19. Aufenthalt.
Diese langjährige Erfahrung hat mir nicht nur Einblicke in die örtlichen Gegebenheiten, die Entwicklung des Hospitals, die Bedingungen vor Ort ermöglicht, sondern auch ein tiefes Verständnis für die nepalesische Kultur vermittelt. Durch die Freundschaften, die ich im Laufe der Jahre geschlossen habe, habe ich zudem wertvolle Einblicke in die nepalesische Denkweise und den Umgang mit den Behörden gewonnen.
Das SKMH wurde vor 27 Jahren von Interplast Germany in Kooperation mit dem nepalesischen Partner SKMH- Trust aufgebaut. Es ist nach wie vor ein bemerkenswertes Vorzeigeprojekt der Entwicklungshilfe im Bereich der Hilfe zur Selbsthilfe. Heute wird das Hospital ausschließlich von nepalesischen Mitarbeiter*innen in allen Bereichen betrieben (Ärzt*innen, medizinisches Fachpersonal, Physiotherapie, Pflege, Verwaltung, Fahrer, Techniker, Reinigungskräfte und Housekeeping). Zur kontinuierlichen Ausweitung des medizinischen Spektrums unterstützen spezalisierte ausländische Gäste (z.B.Fachärzte, Physiotherapeten) die Weiterbildung der einheimischen Mitarbeiter*innen Obwohl das Hospital große Fortschritte in Richtung Eigenständigkeit macht, ist Interplast immer noch sehr in die Finanzierung des Betriebes des Hospitals eingebunden. Am Hospital erhalten bedürftige, arme Menschen und Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen kostenfreie medizinische Versorgung. Im Laufe der Jahre war es dank der Großzügigkeit zahlreicher Spender*innen und unermüdlichen persönlichem Engagement vieler möglich, das Hospital nach modernen medizinischen Standards einzurichten. Dies gewährleistet eine Behandlung unserer Patienten auf hohem medizinischen Niveau.
Gemeinsam mit dem nepalesischen Chirurgen Dr. Manohar engagiert sich der deutsche Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg Dr. Michael Bergermann bei der Behandlung von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und Jugendlichen, die Folgeeingriffe nach dieser Fehlbildung benötigen.
Unser jüngster Patient in diesem Frühjahr war der kleine acht Monate alte Pragyan. Die Eltern hatten ihn schon im November vorgestellt, als er mit knapp 4 kg noch ein Säugling war. Deshalb empfahlen wir, die Operation erst in diesem Frühjahr durchzuführen. Auch mit 8 Monaten war der Junge mit 6 kg immer noch sehr zierlich. Die doppelte Lippenspalte konnte in einer mehrstündigen Operation erfolgreich verschlossen werden. Nun sieht der kleine, viel lächelnde Pragyan schon sehr schön aus. Das Kind ist endlich in der Lage, ausreichend zu saugen und zu essen. Die Eltern sind überglücklich. Die Behandlung der Gaumenspalte wird in einem weiteren operativen Eingriff erfolgen.
Es berührte mich sehr, dass manche Kinder erst im Alter von 4-5 Jahren mit offenen Gaumenspalten zu uns kamen. Die Folgen waren gravierend: Sprachstörungen, Probleme beim Essen, bei dem Nahrung teils aus der Nase trat und deutliches psychisches Leiden. Es ist erfreulich, dass auch diesen Kindern geholfen werden konnte.
Die psychische Wandlung der kleinen fünfjährigen Aksha ist ein eindrückliches Beispiel. Sie kam total verschüchtert ans Hospital und nahm keinerlei Kontakt mit den behandelnden Ärzten und Schwestern auf. Auch ihrem Vater gegenüber zeigte sie sich sehr unkooperativ und sprach nicht. Nur zwei Tage nach der Operation lief sie fröhlich im Hospital Gelände herum und wagte es sogar, auf die hohe Rutsche zu klettern und hinunterzurutschen.
Auch in diesem Jahr hatten wir in unserem auf Plastische und Verbrennungschirurgie spezialisiertem Hospital wieder eine hohe Anzahl an Patienten mit Verbrennungen. Besonders berührt und erschüttert mich immer wieder die Vielzahl der kleinen Kinder, die trotz aller Präventionsbemühungen aufgrund von Verbrennungen unserer Behandlung bedürfen. Gerade in Entwicklungsländern stellen Verbrennungen ein gravierendes Problem dar. In den ländlichen Gegenden, wo offenes Feuer und Kerosinkocher noch weit verbreitet sind, geschehen viele Verbrennungs-Unfälle. Bei den Kindern, die wir sehen, sind die Verletzungsmuster oft vergleichbar: Verbrühungen geschehen durch unbeaufsichtigten Kontakt mit heißen Flüssigkeiten und Verbrennungen sind meist die Folge des Umgangs mit offenem Feuer in den einfachen Unterkünften.
Das Schicksal des vierjährigen Sakhar hat mich besonders berührt. Beim Spielen stolperte er über eine bereits erloschene Feuerstelle, deren Glut aber noch gefährlich heiß war. Er erlitt schwere Verbrennungen am ganzen Körper und im Gesicht. Er ist nun schon zwei Monate am Hospital, davon drei Wochen auf der Intensivstation. Es mussten viele operative Eingriffe, Haut-Verpflanzungen und Verbandswechsel in Narkose durchgeführt werden. Um die durch Narbenbildung nach der Verbrennung gefährdete Mundöffnung zu erhalten, muss er eine Art Kieferöffner tragen. Der kleine Junge ist unglaublich tapfer. Er erträgt seine Behandlung mit viel Geduld.
Unsere Physiotherapieabteilung leistet hier eine wunderbare Arbeit. Mit viel Einfühlungsvermögen, kindgerechten, spielerischen Methoden bemühen sich die Therapeuten, die kleinen Patienten zu motivieren, zu mobilisieren, sie zum Herumlaufen zu animieren. Eine sehr hilfreiche Methode waren zwei Dreiräder, die wir für das Hospital angeschafft hatten. Der kleine Sakhar suchte sich das blaue Dreirad aus und fährt trotz verbundener Hand und bandagierten Beinen unermüdlich damit umher.
Wir behandelten viele Kinder mit Vernarbungen nach Verbrennungen an den Händen, die durch kleinere plastische Operationen gelöst werden konnten. Dadurch erhielten sie die Fähigkeit zurück, Gegenstände wie Spielzeug, Tassen, Stifte wieder zu greifen.
Bei jedem Aufenthalt begegne ich medizinischen Besonderheiten, mit denen man in Deutschland nicht oder nur selten konfrontiert wird. Als Beispiel möchte ich den Fall eines 25-jährigen jungen Mannes vorstellen, der an einer Erbkrankheit (Neurofibromatose) leidet, bei der sich gutartige Tumore am ganzen Körper bilden. Die Familie konnte es sich bisher nicht leisten, den großen Tumor am Rücken behandeln zu lassen und wurde deshalb an unserem Hospital vorstellig. In einer mehrstündigen Operation wurde der Tumor von 6 kg entfernt. Dabei zeigte sich deutlich die psychische Belastung des jungen Mannes vor dem Eingriff, der nach der Operation sichtlich erleichert wirkte.
Dies ist nur ein kurzer, zusammenfassender Eindruck meines vierwöchigen Aufenthaltes im März/April am SKMH, der von vielen menschlichen, medizinischen und bewegenden Anforderungen und Erlebnissen geprägt war. Am SKMH erlebe ich eine ganzheitliche Behandlung der Kranken: auf jeder Ebene wenden sich die Mitarbeiter*innen den Patient*innen und begleitenden Angehörigen mit bemerkenswertem Verständnis, Einfühlungsvermögen, Geduld und Unterstützung zu.