Zum dritten Mal arbeitete wieder ein Ärzteteam aus Bad Kreuznach im Benediktiner-Krankenhaus in Ndanda im Süden von Tansania nahe der Grenze zu Mozambik. Mit beeindruckend zuvorkommender, zuverlässiger und frohgemuter Unterstützung der Ärzte, Schwestern und Pflegern vor Ort gestaltete sich der Einsatz zu einem großartigen Erfolg humanitärer Hilfe. Es operierten die Plastischen Chirurgen Dr. Janis Perialis aus Frankfurt und Dr. André Borsche aus Bad Kreuznach zusammen mit der Allgemeinärztin Dr. Eva Borsche mithilfe der Anästhesistinnen Dr. Gabriele la Roseé aus Essen und Dr. Daniela Kietzmann aus Upsalla und der Anästhesieschwester Maria Beil aus Bremen 36 Kinder, davon 26 bis 5 Jahre, und 21 Erwachsene, die unter schweren Entstellungen und Verletzungen litten. Die junge Ärztin Isabella aus Heidelberg, der Assistenzarzt Dr. Onesmo Lukwaro vom Ndandahospital, der versierte Anästhesiepfleger Andrea Michela und die engagierten Op-Pfleger und Schwestern vor Ort sowie der Student Vincent aus Tansania komplettierten unsere Mannschaft.
16 kleine, ca. einjährige Händchen operierten wir, die durch einen neugierigen Griff in kochende Flüssigkeit oder an heiße Gegenstände zu einem unnachgiebigen Fäustchen zusammengeschmolzen waren. Die schrumpfenden Narben zogen die Fingerchen unerbittlich gebeugt in die Handfläche. Jegliches Tasten, Greifen oder Halten eines Gegenstandes war dem Kindchen von nun an unmöglich…
Die Operationen beginnen für die Kinder mit einem heißbegehrten Kuscheltier, dann ein Picks mit der Narkosenadel oder eine Maskeneinleitung ohne Spritze und sobald die Kleinen „schlafen“, werden die Vernarbungen aufgeschnitten, Hauttransplantate aus dem Unterbauch entnommen und in die klaffenden Handwunden eingenäht. Danach werden Arm und Hand in einem großen Schaumstoffverband für fünf Tage ruhiggestellt und erst dann erfahren wir Antwort auf die bange Frage: ist die neue Haut wohl eingeheilt? Hat sich nichts infiziert? Gut, dass wir die Anästhesie-Traumexpertinnen dabei hatten, die jeden schmerzhaften Verbandswechsel mit einer Kurznarkose erträglich machten! Danach erfolgte noch eine weitere Ruhigstellung für zwei Wochen bis die kleinen Hände wieder neugierig die Welt ertasten und begreifen können.
Auch Kleinkinder mit Fehlbildungen wurden uns vorgestellt. Wir konnten die Eltern beruhigen, dass es sich um gutartige Entstellungen handelte und ihnen eine frühzeitige Korrektur anbieten: wir entfernten mehrere überzählige Finger oder Zehen, verschlossen Lippen- und Gaumenspalten und befreiten die dreijährige Nadia von einem großen Blutschwamm an der Oberlippe.
Verbrennungen bei älteren Kindern und Erwachsenen betreffen in Tansania häufig Epileptiker: ein junger Mann, dessen Kinn und Wange durch Narbenstränge dicht auf die Schulter gezogen wurde, besuchte seit einem halbem Jahr täglich seinen lokalen Doktor um zu fragen, wann er ihn endlich zur Operation zu den deutschen Ärzten brächte. Er wurde als einer der ersten behandelt und wir konnten erleben, dass alle Hauttransplantate bei ihm gut angegangen waren. Danach hieß es noch für weitere zehn Tage den Hals stillhalten, damit es nicht zu einer erneuten Narbenschrumpfung kommt. Zwischenzeitlich wurde auch seine Epilepsie medikamentös neu eingestellt. Einem 45jährigen Witwer mit drei Kindern konnten wir leider nicht mehr helfen, er fiel während des Kochens im epileptischen Anfall über die Gasflammen und seine Hände verkohlten vollständig. Beide Unterarme mussten amputiert werden.
Doch nicht nur das Feuer fordert seine Opfer: eine junge Frau wurde während des Wäschewaschens im Fluss, der die Grenze zu Mosambik bildet, von einem Krokodil geschnappt. Das gefräßige Tier hatte seine Zähne schon in ihren linken Arm und Bein geschlagen. Erst als sie mutig mit den Fingern der rechten Hand in die Augen gegriffen hatte, ließ das Krokodil von ihr ab. Mithilfe eines Schiffs, das Holz geladen hatte, wurde sie mit den begleitenden Angehörigen über den breiten Fluss transportiert und dann auf einem LKW bis nach Ndanda mitgenommen, wo sie im schweren Schock ankam. „Wie gut, dass die Interplast-Ärzte gerade hier sind, da hat sie vielleicht eine Chance!“ wurde geraunt und wir begannen sofort die riesigen Wunden zu reinigen und die tiefen Defekte, die Sehnen und Knochen umfassten, zu bedecken. Trotz sorgfältigster täglicher Verbandswechsel blieb aber bis zu unserer Abreise fraglich, ob wir die 45jährige Luciana vor der Amputation von linkem Arm und Bein bewahren konnten. Da das Kniegelenk völlig zerstört war, blieb letztendlich nur die Empfehlung zur Amputation, die von der Patientin und den Angehörigen aber trotz ausführlicher Gespräche abgelehnt wurde. Schließlich wurde sie auf eigenen Wunsch in ein ganz ungewisses Schicksal entlassen.
Verkehrsunfälle bei den meist unbefestigten Straßen und uralten Transportmitteln können im überregionalen Ndandakrankenhaus oft nur unzureichend versorgt werden. Tagelang liegen die Patienten mit infizierten Wunden, die so gut wie möglich verbunden werden und gebrochenen Gliedmaßen und warten auf eine Operation. Medikamente müssen die Patienten selber zahlen, sodass Schmerzmittel und Antibiotika nur solange gegeben werden können, wie das Geld reicht. Auch die Eintrittsgebühr für das Krankenhaus, ca. 5 Euro, können viele Kranke nicht aufbringen, sodass sie gar nicht oder oft zu spät zur Behandlung kommen. Eine 15jährige Beifahrerin hatte Glück: sie wurde nach einem schweren Motorradunfall mit dem kompletten Verlust ihrer linken Ferse während unseres Aufenthaltes eingeliefert, so dass wir sofort und ohne das sie etwas zahlen musste, den Verlust von Knochen, Sehnen und Bindegewebe operativ behandeln konnten. Auch die mehrwöchige Nachbehandlung werden wir finanziell gewährleisten.
Für einen 61jährigen aus einem weit entfernten Bergdorf reichten auch unsere Möglichkeiten leider nicht mehr aus: weil er einen Sack Cashewnüsse gestohlen hatte, wurde er mit schweren Messern angegriffen und sein Schädel mehrfach gespalten. Direkt nach seiner Ankunft (er wurde über viele Kilometer auf einem Fahrrad transportiert), begannen wir nachts mit der operativen Versorgung: Knochensplitter wurden aus dem Gehirn entfernt, der Oberkiefer verdrahtet, die Nase aufgerichtet und die Wunden plastisch vernäht. Unsere Anästhesistin Gabi la Roseé stabilisierte derweil den Kreislauf, verabreichte Blut und bekämpfte das Hirnödem. Um 23 Uhr nachts konnten wir den Patienten stabil auf die Station entlassen. Doch am nächsten Morgen um ½ 8 war er nicht mehr da, – verstorben-, wie man uns mitteilte, das sei doch klar bei solch einem Ausgangsbefund…
Auch mikroskopisch kleine „Lebewesen“, die Bakterien, bringen in Afrika häufig Verderben. Glücklicherweise erlebten wir während unseres chirurgischen Einsatzes keine Malaria, die in Zentralafrika ja die häufigste Ursache für Tod im Kindesalter ist. Dafür bereitete uns das große Spektrum der Keime auf infizierten Wunden, die bisher aus Mangel an Kenntnissen nicht fachgerecht gesäubert und verbunden wurden, Kopfzerbrechen. Viele Patienten müssen schmerzhaft offene Beine, Hände oder Ellenbogen über Monate und Jahre ertragen. So wurde uns auch eine fröhlich lachende 25jährige Patientin vorgestellt, die seit Wochen am Rande des 40 Bettenschlafsaales ihre Tage verbrachte. Vor fünf Monaten hatte sie sich den rechten Ellenbogen und Unterarm bis auf den freiliegenden Knochen großflächig verbrannt. Ein schmierig gelber Bakterienrasen vergrößert Ihre Wunden langsam und verhindert jede Heilung. Diese Keimschicht mussten wir mehrmals in Narkose mit scharfem Löffel abtragen und mit sterilem Schaumstoff verbinden bis eine Hautransplantation möglich sein wird und endlich die Behandlung abgeschlossen werden kann. Selbst bei dieser Arbeit, die langwierig und ermüdend ist, konnten wir von morgens früh bis spät in die Nacht hinein auf die Unterstützung aller Mitarbeiter des Krankenhauses setzen. Die Hauttransplantation konnte dann erfolgreich eine gute Woche nach unserer Abreise von Dr. Onesmo durchgeführt werden, der bei den letzten Interplast Einsätzen viel gelernt hatte.
Das 320 Betten Haus mit 2.400 Geburten im Jahr verfügt über einen internistischen, einen pädiatrischen, einen gynäkologischen und einen chirurgischen Facharzt sowie fünf Assistenzärzte und einige sehr erfahrene und tüchtige Hilfsärzte (Assistant Medical Officers). Den großen Teil der täglichen Arbeit leisten aber 20 junge Ärzte im Praktikum, die jeweils für ein Jahr nach Ndanda versetzt werden und dort nach kurzer Einführung Stationsarbeit, Basischirurgie und Kaiserschnitte machen müssen, wobei sie natürlich ihre erfahrenen Kollegen zu Rate ziehen können. Narkosen werden, wie fast überall in Afrika südlich der Sahara, von einigen wenigen Krankenpflegern selbständig gegeben, außer wenn während einer kurzen Zeit des Jahres eine deutsche Gastärztin da ist. Einer der wenigen Assistenzärzte des Hauses, Dr. Onesmo, verdanken wir, dass unser Einsatz so gut verlaufen ist: Mit unglaublichen Engagement hatte er das ganz Jahr zuvor Patienten für uns gesammelt, eine Station herrichten lassen und dafür gesorgt, dass Putzhilfen, Sterilisationspersonal und OP-Pfleger für uns freigestellt wurden. Auf diese Weise schafften wir über 70 Operationen in nur 9 Tagen gemeinsam mit dem Personal vor Ort. Nach unserer Abreise operierte Dr. Janis Perialis noch einige Tage und danach wurden die Verbandswechsel von Dr. Onesmo, Dr. Shayo und Dr. Isabella durchgeführt. Insgesamt erfolgten so bis zu letzt 143 Eingriffe in Anästhesie.
Besonderer Dank gilt auch der Anästhesistin Daniela Kietzmann, die während ihres zweimonatigen Aufenthaltes in Tanzania unseren Einsatz in Ndanda vor- und nachbereitet hat. Medizinisch, menschlich und organisatorisch hatte sie alles im Überblick und auf das Feinste gestaltet, so dass alles an diesem Einsatz so rund, harmonisch und konfliktfrei verlaufen ist. So konnten wir beim großen Abschiedsfest froh und erfüllt mit allen Beteiligten auf einen gelungenen Einsatz anstoßen und hoffen, dass wir diese fruchtbare Arbeit bald fortsetzen dürfen.
Vielen Dank auch für die großzügige Unterstützung vieler Spender und für die Materialien, die uns auch diese Mal geholfen haben, unsere großen und kleinen Patienten optimal zu versorgen!
Ein herzliches Dankeschön – Asante Sana !
Eva und André Borsche