Unterstützt von der Sektion Eschweiler/Korschenbroich
Das Team:
vorne von links nach rechts:
Nicole Wickerath, OP-Schwester; Tina Wolkenaer, OP-Schwester;
hinten von links nach rechts:
Ruth Breuer, Anästhesieschwester; Rolf Overs Frerker, Anästhesist; Peter Mingers, Anästhesist;
Hans-Jürgen Arndt, Orthopäde u. Unfallchirurg, Teamleiter; Helga Schumacher, OP-Schwester; Dr. Paul Edelmann, plastischer Chirurg; Miriam Hertwig, Ärztin
Interplast unterstützt seit 2012 das Government Hospital in Kenema, einer Stadt 350 km östlich der Hauptstadt Freetown in Sierra Leone. Seit 2017 ist es uns möglich, zweimal jährlich ein Team nach Kenema zu entsenden. Nach einem erfolgreichen Einsatz im März 2017 war nun erneut ein neun-köpfiges Interplast-Team vor Ort, um das Projekt der dauerhaften Unterstützung des dortigen Regierungskrankenhauses fortzusetzen. Unsere Rückkehr wurde von den Patienten und Mitarbeitern bereits mit Vorfreude erwartet. Die Arbeit dort ist uns sehr ans Herz gewachsen. Auch dieser Einsatz wurde durch viele Geld- und Materialspenden ermöglicht.
Am 18.10.2017 traf sich das Team mit dem vielen Gepäck in Brüssel. Freundlicherweise hatte uns die Airline Übergepäck zum Transport unserer schweren Operationssiebe zur Verfügung gestellt, das restliche Material wurde auf 18 Privat-Koffer verteilt. Nach einem turbulenten sechs-stündigem Flug von Brüssel nach Freetown übernachteten wir zunächst im Flughafenhotel. Wegen der notwendigen persönlichen Vorstellung der Ärzte beim Medical Board in Freetown fuhren drei Schwestern voraus nach Kenema, mitsamt dem Gepäck, das unseren gesamten OP-Bedarf für die 2 ½ Wochen enthielt. Die Ärzte setzten mit der Fähre nach Freetown über und wurden am Pier von dem Medical Superintendent des Krankenhauses, Dr. Masuba, herzlich begrüßt. Da die Fähre Verspätung hatte, konnten wir im Medical Board nur unsere Dokumente für die Arbeitsvisa abgeben und mussten einen neuen Interviewtermin für den 26.10. vereinbaren. Nach fünf-stündiger Fahrt über den Highway nach Osten trafen wir gegen 18 Uhr an unserer Unterkunft, dem Capitol Hotel, ein und bezogen unsere Zimmer. Für drei Teammitglieder war es der erste Interplast- und Afrikaeinsatz. Lediglich der Teamleiter war bereits zum dritten Mal in Kenema.
Der Freitag begann mit dem Transport des Gepäcks zum Government Hospital. Unser Empfang durch die Mitarbeiter war typisch afrikanisch – sehr herzlich! Anschließend führte uns Clinical Health Officer (CHO) Emmanuel Lordbrahams durch das Krankenhaus, welches im Verlauf des letzten Jahres eine deutlich positive Entwicklung genommen hat. Das Krankenhaus versorgt mit ca. 350 Betten die inzwischen 200.000 Einwohner zählende Stadt Kenema und die umgebende Region mit einer Reihe von Dörfern.
Für uns wurden neben zwei OP-Sälen, in denen wir parallel operieren konnten, eine Umkleide, eine Toilette, ein Pausenraum und ein Untersuchungszimmer in der Ambulanz für das Screening der Patienten, sowie ein großer Sterilisator und ein Generator bereit gestellt. Personell wurden wir neben Dr. Masuba durch den CHO als Dolmetscher, einen OP-Pfleger und eine Reinigungskraft tatkräftig unterstützt. Betten für die von uns operierten Patienten waren auf zwei chirurgischen Stationen vorbereitet worden.
Aus dem 180 km entfernten Serabu kam ein CHO des dortigen Krankenhauses der German Doctors zur Hospitation in der Anästhesie angereist.
Insgesamt war die Unterstützung unseres Teams durch die einheimischen Mitarbeiter bemerkenswert. Gegenüber den letzten Einsätzen waren die Abläufe wesentlich eingespielter, man erinnerte sich schmunzelnd an die Vorliebe der deutschen Teams für Dokumentation und Ordnung.
Wir begannen direkt mit dem Patienten-Screening und konnten in zwei Tagen 189 Patienten untersuchen, von denen wir 81 zur Operation einplanten. Das Krankenhaus hatte unseren Einsatz über Radio bekanntgemacht und selbst schon ein eine Vorsichtung durchgeführt, sodass wir im Wesentlichen operationsbedürftige Patienten gesehen haben. Leider war mit den 81 Patienten der Operationsplan für unseren Aufenthaltszeitraum bereits fast voll. Daher konnten wir nur noch Notfälle wie frische offene Frakturen annehmen. Alle anderen Patienten mussten wir leider auf den nächsten Einsatz vertrösten. Einige Patienten waren über 350 km weit angereist, um sich von uns untersuchen und operieren zu lassen. Umso schwerer fiel es uns daher, sie innnerhalb dieses Einsatzes nicht versorgen zu können.
Insgesamt wurden bei täglich acht bis neun Operationen 78 Patienten operiert und 92 Operationen und 101 Narkosen durchgeführt. Das Operationsspektrum umfasste neben den häufigen großflächigen chronischen Wunden, Verbrennungskontrakturen und Weichteiltumoren im Bereich der plastischen Chirurgie sehr viele Pseudarthrosen der großen Röhrenknochen im traumatologisch-orthopädischen Bereich, die mit Debridement, Spongiosaplastiken und Plattenosteosynthesen behandelt wurden. Frische, offene Frakturen und drei Osteomyelitisfälle wurden mit Fixateur stabilisiert. Darüber hinaus mussten zwei Unterschenkelamputationen bei stark vereiterten Weichteilen mit Knochenbeteiligung und Madenbefall vorgenommen werden. Eine Blutungskomplikation während einer schwierigen Pseudarthrosenoperation konnte nach Transfusion und Tamponade am nächsten Tag definitiv versorgt werden, ohne dass der Patient Schaden erlitt. Wie immer waren unsere Operationen und die erforderlichen Röntgenaufnahmen kostenfrei für die Patienten, die sich sonst eine solche Behandlung nicht leisten könnten.
chronischeOsteomyelitis Debridement Zementplombe und Fixateur
Sekundäre Spongiosaplastik und
Platte nach 6 Monaten vorgesehen
chronischer Stirnabszeß bei 11jährigem Mädchen Entfernung eines großen Knochensequesters
mit V. a. Schußperforation
fehlverheilte Unteramfraktur mit Einstellung des Handgelenkes Korrekturosteonomie und
und Ulnapseudarthrose Plattenosteosynthese
Am ersten freien Sonntag erkundeten wir bei einer kleinen Wanderung Kenema und die nähere Umgebung und waren fasziniert von der Buntheit, dem quirligen Leben und der Herzlichkeit der Menschen. Aber wir waren auch betroffen von der überall sichtbaren Armut – Sierra Leone gehört zu den ärmsten Ländern der Erde.
Nach einer Woche mussten die Ärzte leider nochmals zum Medical Board nach Freetown reisen, da eine persönliche Vorstellung zur Überprüfung der Arbeitsvisa gewünscht wurde. Damit verloren wir einen OP-Tag, haben aber nun allesamt ein permanentes Arbeitsvisum.
Aufgrund der hohen Temperaturen bis 36 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit war der Einsatz für alle Teammitglieder anstrengend und fordernd. Die Klimaanlage im OP arbeitete nur rudimentär. Regelmäßiges, ausreichendes Trinken und Traubenzucker-Doping waren unbedingt nötig. Stromausfälle machten teilweise den Einsatz eines Diesel-Generators nötig. Da die vorhandenen OP-Lampen nicht einsatzbereit waren, arbeiteten wir mit Stirnlampen.
Für den nächsten Einsatz wurde vom Krankenhaus der Einbau einer funktionierenden Klimaanlage zugesagt.
An unserem zweiten freien Sonntag machten wir mit zwei Jeeps einen Ausflug zu den German Doctors im Hospital in Serabu. Das 120 Betten Haus versorgt den Süden Sierra Leones und hat die Schwerpunkte Geburtshilfe, Gynäkologie und Pädiatrie. Chirurgie wird überwiegend notfallmäßig betrieben. Uns wurden nach einer freundlichen Begrüßung und einem Imbiss zwei kleine Patienten mit großflächigen Wunden vorgestellt. Für diese Kinder bezahlten wir den Transport nach Kenema, die Verpflegung sowie den Rücktransport und führten Meshgraftdeckungen der Wundbezirke durch.
Die Zusammenarbeit des Teams im OP war sehr gut und harmonisch.
Am letzten OP-Tag verabschiedeten wir uns mit Bedauern von den Patienten und den Mitarbeitern des Krankenhauses. Zu einem vom Hotelmanager gespendeten libanesischen Abschiedsessen luden wir zusätzlich den Medical Superintendent, den uns betreuenden CHO und den einheimischen OP-Pfleger ein. Wir erhielten dort noch viele Informationen über das Leben in Sierra Leone durch unseren dolmetschenden CHO Emmanuel Lordbrabams, der auch die Nachbetreuung unserer operierten Patienten übernimmt und uns per Mail und What’sApp regelmäßig unterrichtet.
Mit zwei Jeeps ging es am Sonntagmorgen, dem 05.11.2017, zurück nach Freetown. Nach einem kurzen Souvenireinkauf in der Nähe des Flughafens und einer Abschlussbesprechung verließen wir am Abend schweren Herzens Sierra Leone und trafen frühmorgens wieder in Brüssel ein.
Für alle Teammitglieder war die Arbeit in Sierra Leone, welches durch den Bürgerkrieg in den Neunzigern und die Ebolaepidemie vor zwei Jahren in der Entwicklung stark zurückgeworfen wurde, eine intensive und sehr befriedigende Erfahrung. Wir haben gerne zugesagt, im kommenden Frühjahr mit einem anderen Team erneut nach Kenema zu reisen.
Der Bedarf ist riesig und bietet Raum für Strumachirurgen, Lippen-Gaumen-Spalten Operateure, Klumpfußoperateure, plastische Chirurgen, Unfallchirurgen und Orthopäden, da in Sierra Leone ein großer Ärztemangel (300 Ärzte auf 7 Millionen Einwohner) herrscht und spezialisierte Operationen nur in der Hauptstadt Freetown angeboten werden.
Wir danken allen Spendern für die Unterstützung dieses erfolgreichen Einsatzes.
Hans-Jürgen Arndt