Nach vierjähriger Pause, bedingt durch die Corona Pandemie und durch immer wieder auflodernde politische Unruhen, sind wir im Frühjahr`22 endlich wieder nach Riberalta in den Nord-Osten Boliviens aufgebrochen. Es war der vierte Interplast Einsatz im Amazonasgebiet Boliviens, und wir waren alle gespannt, was sich in der Zwischenzeit dort verändert hat.

Durch den engen und freundschaftlichen Kontakt zwischen Dr. Huáscar Suárez, Chefarzt für Chirurgie aus Riberalta, der in der Vergangenheit sämtliche Einsätze in Riberalta vor Ort mit organisiert und möglich gemacht hat und unserem Allgemeinchirurgen Hubert Sax, fuhren wir mit einem guten Gefühl dorthin. Bereits im November`21 ist Hubert Sax in Riberalta gewesen und hat mit Dr. Huáscar Suárez zusammen alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz geschaffen. Hubert und Huáscar haben wir es zu verdanken, dass wir perfekte Bedingungen vorgefunden haben. Wir durften im städtischen Krankenhaus arbeiten, es wurde uns neben einem Operationssaal auch ein großer Aufwachraum, Personal und alles Weitere gestellt. Der Ablauf des Einsatzes verlief daher reibungslos, die Stimmung im Team war gut und Arbeit gab es reichlich. Zusammenfassend kann man sagen: es war ein anstrengender, aber sehr erfolgreicher und zum Glück komplikationsloser Einsatz mit einem tollen Team! Aber was hat sich eigentlich in der Zwischenzeit in Riberalta verändert und was ist mit der Frage ob Riberalta ein nachhaltiges Interplast-Projekt ist?

Corona-Situation vor Ort

Die Corona Pandemie hat auch vor Riberalta nicht Halt gemacht. Während der ersten Welle 2020 sind viele Menschen an der Virusinfektion gestorben. Inzwischen sind auch im entlegenen Ort Riberalta Impfungen verfügbar, jedoch sind unter der Bevölkerung noch immer viele Impfskeptiker. Das begründet sich zum Teil sicher in einem hohen Anteil indigener Menschen in der Bevölkerung und dem Glauben an die traditionellen Heilmittel. In Geschäften und Banken wurden wir hingegen mit Nebelschwaden aus Desinfektionssprays begrüßt und mussten mit einem ordnungsgemäß sitzenden Mund-Nasenschutz in angemessenem Abstand zueinander in den Wartebereichen vor den Schaltern oder in den Schlangen vor den Kassen warten.

Während unseres Einsatzes waren alle „Corona-Abstandsregeln“ innerhalb kürzester Zeit hinfällig. Hunderte Patienten quetschten sich bereits vor Beginn der ersten Sprechstunde vor den Toren der Klinik zusammen. Wir nahmen insgesamt 120 Patienten in unseren Op-Plan auf. Die gelisteten Patienten für den jeweiligen Tag haben wir morgens vor Beginn des Op-Betriebes mit einem Corona-Schnelltest getestet. Lediglich ein Patient wurde positiv getestet. Insgesamt hatten wir während unseres Aufenthaltes nicht das Gefühl, dass Corona aktuell eine Bedrohung in Riberalta darstellte.

Entwicklungen am Einsatzort

Trotz der Pandemie und der immer wieder auflodernden politischen Instabilität in Bolivien hatten wir dennoch das Gefühl, dass in den letzten vier Jahren der Wohlstand und die Zivilisation in Riberalta zugenommen hat. Das Flughafengebäude empfängt die Ankommenden mit einer großen und modern anmutenden Ankunftshalle, wo noch vor einigen Jahren nur ein überdachtes staubiges Areal mit ein paar Sitzbänken gewesen ist. Um die Plaza herum fuhren deutlich mehr, zum Teil große Autos. In der Vergangenheit war das Straßenbild rund um die Plaza geprägt von sich drängenden Motorrädern, dazwischen kaum Autos. Bei einer Spritztour in die umliegenden ländlichen Regionen war auffällig, dass selbst die kleinste und abgelegenste Hütte nun mit Stromkabeln versorgt wird. Die Armut und Bedürftigkeit an vielen anderen Stellen, war aber dennoch deutlich zu spüren und zu sehen.

CO2 – „Fußabdruck“ des Einsatzes

In Bezug auf die Anreise des Teams ist Riberalta sicher alles andere als nachhaltig. 36 Stunden Anreise, ein transatlantischer Flug, mehrere Inlandflüge, für acht Personen! Das ist ein echtes Dilemma. Der CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Pro Flug werden 7,454 kg CO2 erzeugt. Dieses „Umweltthema“ bei uns im Verein beschäftigt mich schon lange. Bereits im Jahresheft unseres Vereins 2021 habe ich im Beitrag „Quo vadis Bolivia“ dazu ein paar Gedanken aufgeschrieben.

Als „CO2–Ausgleich“ für einen Hin- und Rückflug nach Riberalta müssten pro Person ca. 15 Bäume gepflanzt werden. Das birgt allerdings auch eine Chance: Auch in Bolivien ist es üblich, durch Brandrodungen Flächen für Rinderhaltung und den Anbau von Soja zu schaffen. Große Bereiche des ehemaligen Urwaldes der Anden wurden inzwischen abgeholzt oder niedergebrannt. Diese Brände und Rodungen werden nicht zuletzt durchgeführt, um die Nachfrage von Soja und Fleisch vor allem aus Europa und China zu befriedigen! Da sollte es nahe liegend sein, dass unser Verein sich auch im Hinblick auf die durch unsere Flüge entstehende Umweltbelastung, in gewissem Maße auch am Umweltschutz beteiligt! Ich persönlich habe mich entschieden, diese Bäume in Form einer finanziellen Spende in Höhe von 90 Euro an den Naturefund e.V. zu „pflanzen“.

Unterstützt wird damit direkt in unserem Einsatzland u.a. das Projekt „Urwald in den Anden Boliviens retten“. Das Projekt nahe der bolivianischen Großstadt Cochabamba besteht seit 2014 und in seinem Rahmen wurden durch den Naturefund mittlerweile über 45.000 Bäume mittels der Methode des Dynamischen Agroforst (DAF) wieder angepflanzt. Das Ziel des Projektes ist es nicht nur für eine Wiederaufforstung der verlorengegangenen Wälder zu sorgen, sondern gemeinsam mit bolivianischen Kleinbauernfamilien Wälder für Menschen und Tiere zu schaffen, die auch wirtschaftlich genutzt werden können. Bei DAF handelt es sich um eine innovative, viel versprechende Anbaumethode, die in kurzer Zeit selbst karge Böden wieder bewaldet. Es unterstützt die dort ansässigen Kleinbauern bei der Umstellung auf eine langfristig nachhaltige und gleichzeitig ertragreiche Landwirtschaft. Der dort ansässigen Bevölkerung werden neue Perspektiven und ein höheres Einkommen ermöglicht und gleichzeitig wird ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet und das Bewusstsein der ortsansässigen Bevölkerung für den Wert der intakten Natur geschärft. Weitere Infos unter: www.naturefund.de

Vielleicht ist es ein kleiner Beitrag den wir im Rahmen unserer Interplast-Einsätze für den Klimaschutz beisteuern können! Hier ist jeder Teilnehmer eines Einsatzes auch privat angesprochen, denn nicht wenige nutzen die Möglichkeiten auch, um das Einsatzland auch privat im Anschluss an den Einsatz kennen zu lernen. Das Thema „Nachhaltigkeit und Umweltschutz“ ist definitiv auch ein Thema, dem wir uns im Verein stellen müssen!

Nachhaltigkeit der Einsätze aus der Sicht der einheimischen Ärzte

Wir wollen dazu den chirurgischen Chefarzt Dr. Huáscar Suárez und die Chirurgin Dr. Mayra Sarmiento Carrasco zu Wort kommen lassen, die uns vor und während des Einsatzes unermüdlich unterstützt haben. Wie ist ihr Blickwinkel auf den Einsatz und seine Nachhaltigkeit? Meine Kollegin Julia Wehner hat dazu ein Interview mit den Beiden geführt.

Was hat Ihnen der Interplast-Einsatz gebracht?

Dr. Suárez: „Dieser Einsatz von Interplast gibt mir ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit mit dem Interplast-Team für die Menschen, besonders für die Bedürftigsten in meiner Stadt, gearbeitet zu haben. Auch profitiere ich, mein ganzes Team und vor allem meine chirurgischen Weiterbildungsassistenten von der sehr lehrreichen Zusammenarbeit.“

Dr. Carrasco: „Der Einsatz gab mir die Gelegenheit, brillante Fachleute zu treffen und von Ihnen zu lernen. Neben ihrem Fachwissen, Können und ihrer Erfahrung, haben sie ein wunderbares Konzept von Solidarität und Menschlichkeit. Diese Charakteristika sind, meiner Meinung nach, entscheidend für einen guten Chirurgen, Arzt oder jedes medizinische Fachpersonal.“

Was bedeutet der Interplast-Einsatz für die Patienten in Riberalta?

Dr. Suárez: „Er ist eine große Unterstützung für die Patienten in Riberalta, besonders für diejenigen, mit begrenzten finanziellen Mitteln. Vor allem wenn man bedenkt, dass die plastisch-rekonstruktiven Operationen es ihnen ermöglichen, wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich wieder in die Gesellschaft integrieren zu können, wie beispielsweise zur Schule gehen, etc. Das wirkt sich positiv auf das Selbstwertgefühl aus.“

Dr. Carrasco: „Die Kampagne hat ihnen Hoffnung und die Chance gebracht, ihre Lebensqualität innerhalb ihrer Familie und in der Gemeinschaft zu verbessern. In vielen Fällen wurde ein funktionelles Problem gelöst. In vielen anderen Fällen, beispielsweise bei der Behandlung von Kindern, gab ihnen die erhaltene Fürsorge und Behandlung die, Möglichkeit, ihre Kindheit vollständiger zu erleben. Dieser unterstützende Beitrag ist für die Patienten von unschätzbarem Wert.

Was bleibt für Euch nach dem Einsatz?

Dr. Suárez: „Es bleibt tiefe Dankbarkeit aller operierten Patienten und die Dankbarkeit des Krankenhauspersonals für das geteilte Wissen. Es bleibt die Herausforderung und die Erwartung, dass INTERPLAST auch 2024 wieder nach Riberalta zurückkehren wird. Und das Wichtigste, es bleibt eine große Freundschaft mit dem gesamten Interplast-Team, einem Team von hervorragenden Fachleuten mit außergewöhnlich menschlichen Qualitäten, die ich sehr schätze!“

Dr. Carrasco: „Dankbarkeit bleibt. Für uns als Teilnehmer bleibt beruflich und persönlich das Gefühl von Zufriedenheit und Bestätigung, durch unsere Arbeit Schmerzen gelindert und das Leben der Gemeinschaft verbessert zu haben. Für die Patienten bleibt ein potentiell lebensveränderndes Hoffnungsgefühl und die Freude, trotz fehlender finanzieller Mittel von einem erstklassigen Ärzteteam versorgt worden zu sein. Eine exakte wissenschaftliche Auswertung, mit Blick auf eine Wiederholung des Einsatzes, die uns die Auswirkung auf das Leben unserer Patienten aufzeigt, steht noch aus.“

Nachhaltigkeit des Riberalta-Einsatzes im Fazit

Persönlich komme ich zu dem Schluss, dass „Riberalta“ definitiv ein nachhaltiges und erhaltenswertes „Interplast-Projekt“ ist und ich glaube und hoffe, dass auch alle meine Mitstreiter:innen das genauso sehen. Der Aspekt Klimaschutz ist und bleibt jedoch problematisch und sollte nach meiner Meinung in Zukunft bei der Planung und Durchführung der Einsätze berücksichtigt werden. Durch Zahlung eines CO2-Ausgleiches kann zumindest ein kleiner Schritt in Richtung Umweltschutz geleistet werden, idealerweise sollte gleichzeitig die Bevölkerung am Einsatzort unterstützt und die Wirtschaft gefördert werden. Hier, in Bolivien, habe ich ein geeignetes Projekt gefunden. Auch an anderer Stelle sollte genau geprüft werden, welche Ausrüstungsgegenstände und Materialien für den betreffenden Einsatz wirklich unabdingbar sind, und was mit den Mitteln vor Ort abgedeckt werden kann. Aus Sicht der Anästhesistinnen kann ich sagen, dass wir fast alle Verbrauchsmaterialien und auch viele Medikamente gestellt bekommen haben, oder vor Ort kaufen konnten.

Aus Sicht der Patienten beantwortet sich die Frage der Nachhaltigkeit von selbst. Eines der besten Beispiele aus unserem letzten Einsatz ist ein kleiner Junge, der ein beträchtliches Hämangiom an der Oberlippe hatte und dadurch nicht nur funktional eingeschränkt, sondern auch optisch stark beeinträchtigt war. Ihn jetzt zu sehen ist eine Freude und die Dankbarkeit der Eltern war so überwältigend, dass wir alle tief berührt waren. Für die Zukunft wird er ohne Stigmatisierung in seiner Gemeinschaft leben können. Die z.T. jungen Männer, die nach operativer Versorgung ihrer teilweise abnorm riesigen Hernien, wieder unbeeinträchtigt ihrer Tätigkeit nachgehen können und somit die Familie ernähren können, sprechen wohl im Punkt „Nachhaltigkeit“ ebenfalls für sich.

Im persönlichen Bereich ist für mich die Erfahrung dieser Einsätze, der Umgang mit den verschiedenen Menschen, die beruflichen Herausforderungen und die unglaublich menschlichen und positiven Erfahrungen und Begegnungen, bis hin zu Freundschaften eine unglaubliche Bereicherung. Ich denke, dass auch diese Erfahrungen in das Thema Nachhaltigkeit einfließen dürfen, tragen sie doch dazu bei, für die verschiedenen Probleme fremder Länder, Klima und Kulturen mit offenen Augen durch die Welt zu laufen und Verständnis aufzubringen. Eine Fähigkeit, die in der heutigen Zeit wichtiger ist denn je.

Als Abschluss möchte ich mich bei allen Beteiligten für die große Unterstützung, in Form von Spenden, Zeit und Arbeit recht herzlich bedanken! Ohne das Engagement jedes/r Einzelnen, ohne die finanzielle Unterstützung und ohne die zahlreichen Spenden, in Form von Geld oder Materialien, wären diese Art von Einsätzen nicht möglich!

Muchas gracias!
Katharina Kamm

 

 

Einsatzstatistik

Unsere beiden Chirurgen, Dr. Carsten Boger und Hubert Sax haben insgesamt knapp 70 Operationen durchgeführt, zum größten Teil waren darunter Patienten mit unterschiedlichen Hernien, sechs Patienten mit Strumen und acht Kinder mit allgemeinchirurgisch zu lösenden Problemen.

Prof. Steffen Baumeister als plastischer Chirurg hat ca. 50 Patienten operiert, darunter viele Kinder mit unterschiedlichsten „Weichteiltumoren“ oder Fehlbildungen der Extremitäten.

Dr. Carolin Roßbach, Julia Wehner und ich, Dr. Katharina Kamm, haben dafür die notwendigen Narkosen durchgeführt und konnten die unterschiedlichsten Herausforderungen gut gemeinsam meistern. Viele Regionalanästhesien, Vollnarkosen, Nerv-Blockaden und Kinderanästhesien haben für ein abwechslungsreiches Programm gesorgt.

Heike Fechtner und Sinischa Wagner als Op Pflege Team haben dafür gesorgt, dass wir an ein bis drei Tischen gleichzeitig, in den unterschiedlichsten Varianten arbeiten konnten und immer alles parat war. Dank der mühevollen Arbeit, die Frau Fechtner im Vorfeld unseres Einsatzes geleistet hat, hat es auch an nichts gemangelt. Den Beiden sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt!

Und natürlich hatten wir in allen Bereichen ständig tatkräftige Unterstützung durch die einheimischen Ärzte und Pflegekräfte, durch tolle Menschen, die uns bereits während der letzten Aufenthalte immer liebevoll umsorgt haben und uns in vielen Situationen immer wohlgelaunt zur Seite standen. Hier seien neben Huáscar Suárez und seiner Frau Maria Dolores, v.a. Gloria Cruz und ihre Freundin Sonja Dieterle genannt.