Hilfe bis zur letzten Minute in Mozambik

Beira/ Nampula – Mozambik 25.10. – 10-11.2024
Sektion Bad Kreuznach
Seit Monaten bereitet sich das INTERPLAST-Ärzteteam mit André und Eva Borsche aus Bad Kreuznach auf einen Hilfseinsatz in Mosambik vor. Es wird der dritte Einsatz nach Beira sein, den Dr. Christiane Meigen, Gynäkologin und Akupunkturärztin aus Idar-Oberstein organisiert. Am Flughafen in Frankfurt treffen wir die welterfahrene Änästhesistin Dr. Gabi Laroseé und der seit 50 Jahren humanitäre Einsätze in aller Welt mitgestaltende Anästhesiepfleger Walter Gerhards sowie den ehemaligen Anästhesie – Chefarzt Dr. Ales Stanek aus Wiesbaden. OP-Pfleger Sinischa Wagner koordiniert die vielen medizinischen Materialien und reist mit 4 Koffern aus Hamm an.
Diesmal ist aber alles anders: die politische Situation in Mosambik ist plötzlich nach der letzten Wahl vor ein paar Tagen instabil geworden, es finden überall Proteste statt, es wird geschossen, es gibt Tote. Wir stecken lange die Köpfe zusammen. Was sollen wir tun? Unsere persönliche Sicherheit suchen und der Teilreisewarnung des Außenministeriums folgen? Oder an die auf uns wartenden Patienten denken, an die lernbegierigen Ärzte, die wir nicht enttäuschen wollen, an das Wiedersehen mit im vorigen Jahr operierten Kindern und liebenswerten Kollegen vor Ort? Die Regierung von Mozambik hatte vor zwei Stunden das Internet und die Telefon-verbindungen abgestellt. Wir bekommen keine aktuellen Informationen mehr. Unsere humanitäre Hilfe, dieser Weg direkt von Mensch zu Mensch, sollen wir uns den von politischen Unruhen verbauen lassen? Nein! Unser Beschluss ist gefasst: Wir fliegen!
Nach 14 Stunden Flugreise empfangen uns unsere befreundeten Kollegen am Gepäckband in Beira und nehmen unsere 17 Koffer in Empfang. Sie haben den örtlichen Zoll schon freundlich gestimmt, sodass wir unser medizinisches Material ohne die sonst üblichen Probleme zu den schon wartenden offenen Kleinlastern bringen können. Befangen beäugen wir auf der Fahrt zu unserer Pension die am Autofenster vorbeigleitenden Straßenränder. Überall in den tropisch grünen Baumkronen flattern die roten Fahnen der Regierungspartei. An Häuserwänden und Ruinen wiederholen sich Fetzen von Plakaten der Oppositionspartei. Der Vorwurf von Wahlbetrug erschüttert das Land. Die Geschäfte sind geschlossen. Ein paar Schritte auf der Straße sollten wir im Dunkeln nicht gehen. Die Lage sei unübersichtlich.
Im Krankenhaus scheint alles so vertraut, als seien wir gestern das letzte Mal dort gewesen. Schnell sind die Koffer abgeladen, wir schlüpfen in unsere Arbeitskleidung, bauen Geräte auf und richten den Operationssaal ein. Im Untersuchungsraum wird ein kleiner Patient nach dem anderen hereingeführt. Joaquin, der Waisenjunge, dem „Noma“-Bakterien die linke Gesichtshälfte zerstört hatten, ist der erste. Domingo, 8 Jahre, ist als 3jähriger rückwärts ins Feuer gefallen, seine großen Verbrennungswunden auf der rechten Beinrückseite konnten damals nicht behandelt werden und nun rutscht er auf Knien vorwärts, wirkt halb so groß und wird von vielen übersehen, hat bei jedem „Schritt“ starke Schmerzen. Weitere Patienten drängen in die Tür. Verbrannte Kinderhände strecken sich uns entgegen und in den Augen der Mütter leuchtet die Hoffnung, wir könnten ihrem Kind durch eine Operation ein Leben ohne die Einschränkung einer verkrüppelten Hand eröffnen.
Während wir im Hospital 21 Patienten an 5 intensiven Operationstagen versorgen können, nehmen draußen die Straßenkämpfe weiter zu. Auf uns wartet aber noch das Krankenhaus in Nampula im Norden Mosambiks. Wir hatten versprochen, auch hier den verletzten Kindern zu helfen.
Der landesinterne Flug geht über Umwege und ist komplizierter und länger als gewöhnlich. Auf einem Zwischenstopp erleben wir in Maputo, der Hauptstadt von Mozambik, das alles unheimlich ruhig ist, keine Straßenhändler, kein Hupen, keine Autorikschas. Vor der großen Markthalle aber sammeln sich Menschen mit großen Pappschildern zum Protest, Militär zieht auf und es fallen Schüsse. Wir flüchten zurück in den Flughafen.
Im 800 Betten Krankenhaus von Nampula herrscht dichtes Gedränge. Die Korridore sind kaum passierbar. Angehörige schlafen unter den Krankenbetten und auf dem staubigen Boden des Treppenhauses. Die Kinder-Verbrennungsstation ist noch überbelegter als die in Beira. Fliegen auf den Verbänden, leidgeprüfte, ins Leere blickende Kinderaugen. Auf der Intensivstation stirbt ein 9 jähriger Junge an Tetanus.
30 Patienten werden uns vorgestellt. Wir werden nur 15 operieren können. Die Zeit drängt. Eine Traube junger Kollegen schiebt sich in den kleinen Operationsraum. Jeder möchte einen Blick auf das Operationsfeld erhaschen. Dr. Borsche tut sein Möglichstes, ihren Wissensdurst zu befriedigen. Später wird er in einem Vortrag die wichtigsten Prinzipien der Verbrennungschirurgie erläutern, sodass die angehenden Chirurgen in Zukunft den Verbrennungskindern viel Leid ersparen können. Doch nicht nur Operations-techniken sind entscheidend. So braucht die 6jährige Regina 2 Blutkonserven und eine gehaltvolle Mahlzeit, bevor sie in den OP-Bereich gefahren wird. Zu ausgemergelt ist ihr kleiner Körper, zu erschöpft von dem täglichen Kampf gegen die Infektion.
Bei der Abschlussvisite winken uns die Patienten in gutem Zustand fröhlich zu. Bis auf die letzte Minute haben wir operiert. Nun müssen wir uns sputen, um zum Flughafen zu kommen. In den Straßen patrouilliert Militär, Panzer rollen auf. Unser Flug ist der letzte des Tages. Rund um das Flughafengebäude steigen Rauchschwaden auf. Erst um 20:00 ist es sicher genug, dass wir in einem völlig überfüllten Kleinbus, von Militär vorne und hinten eskortiert, zum Flugfeld gefahren werden. Nach vielen Stunden landen wir erschöpft wieder sicher in Frankfurt.
Unsere Gedanken sind aber immer noch bei den vielen operierten Patienten, die jetzt von den mosambikanischen Ärzten und Schwestern weiterbetreut werden. Hoffentlich erhalten wir bald Nachricht und die erlösende Botschaft, dass es allen gut geht.
Eva und André Borsche
Team: Dr. André Borsche/ Plastischer Chirurg, Dr. Eva Borsche/ Allgemeinärztin, Dr. Christiane Meigen/ Gynäkologin, Dr. Gabi La Rosée/ Anästhesistin, Dr. Ales Stanke/ Anästhesist, Sinischa Wagner/ OP-Fachpflege, Water Gerhards/ Anästheise-Fachpflege