Während Europa fest im Griff der Corona-Pandemie war und Deutschland von der zweiten in die dritte Welle rutschte, „flüchtete“ ein kleines Interplast-Team unter der Leitung von Dr. Friederike Bosche für gut drei Monate an die St. Clare Clinic in Mwanza, Tansania. Die am Viktoriasee gelegene, caritative Klinik wurde vor wenigen Jahren vom deutschen Priester und Arzt Dr. Thomas Brei gegründet und versucht seitdem insbesondere der armen Bevölkerung einen verbesserten Zugang zu hochwertiger medizinischer Versorgung zu ermöglichen.
Der Schwerpunkt dieses längeren Interplast-Einsatzes lag besonders in der Aus- und Weiterbildung des einheimischen medizinischen Personals sowie der Optimierung der Klinik-Abläufe. So bildete die Augenärztin Dr. Friederike Bosche zwei Clinical Officer (ärztliches Hilfspersonal mit 3-jährigem Studium) aus. Sie erlernten die Messung der Sehleistung, Refraktion, Umgang mit der Spaltlampe, Netzhaut-Untersuchung bei enger und weiter Pupille sowie Augeninnendruck-Messung und Interpretation der Befunde. Gemeinsam konnten so über 300 Patienten untersucht, mit Brillen versorgt und konservativ behandelt werden. Ein besonders schöner Moment als die Clinical Officer Asna sich freudestrahlend zu mir umdrehte und rief „I can see it!“, als es ihr das erste mal gelang, die Netzhaut eines Patienten zu sehen. Diese schwierige Technik hatten wir lange geübt und mir kamen fast die Tränen angesichts dieses Erfolges.
Das augenheilkundliche Grundlagenwissen wurde neben der Praxis durch zahlreiche Falldiskussionen, Bildbeispiele, Lehrvideos und Lehrbücher erweitert. Augentropfen wurden über die hauseigene Apotheke bestellt und Organisationsstrukturen etabliert. Im Augen-OP erfolgte eine gründliche Inventur der bereits in der Vergangenheit gespendeten Materialien. Verschiedene Geräte konnten mithilfe des einheimischen Technikers instand gesetzt werden. Gemeinsam mit den OP-Pflegekräften wurden die OP-Sets für verschiedene Operationen neu zusammengestellt und die Reinigung und Re-Sterilisation der fragilen Teile eingeübt. Zudem konnten mithilfe der lokalen Augenchirurgen über 50 Cataract-Operationen durchgeführt werden. Hierbei erfolgte auch ein Training an der Phako-Maschine und schwierige Operationen wurden im Team diskutiert. Auch ein Outreach zur Versorgung der Augenpatienten in Magu und Maganzo (Versorgung von Albino-Patienten) und zum Teaching stand auf dem Plan.
In ähnlicher Weise setzte sich Dr. Simon Bosche in der Anästhesie-Abteilung ein. Da es im Land nur wenige ärztliche Anästhesisten gibt, werden Narkosen überwiegend von Anästhesie-Pflegern (mit einjähriger Weiterbildung) durchgeführt – so auch im St. Clare. Entsprechend gering ist leider oftmals das physiologische Hintergrund-Wissen und die Souveränität auch mit Komplikationen umzugehen. Zudem ist die Ausstattung natürlich nicht mit europäischem Standard vergleichbar. Zwar gab es im erst wenige Monate zuvor eröffneten OP schon einige aus Deutschland gespendete Geräte; diese konnten zunächst auch aufgrund der Sprachbarriere jedoch nur eingeschränkt benutzt werden. Nach Sichtung, teilweiser Instandsetzung und Erweiterung um den mitgebrachten Narkosegas-Verdampfer und die mitgebrachte Atemgas-Messung (in Deutschland absoluter Standard, in Tansania große Seltenheit!), konnten die beiden einheimischen Anästhesie-Pfleger ausführlich in die Benutzung des Equipments eingewiesen werden. Durch die neuen Geräte kann nun auch ein etwas günstigeres Narkosegas sicher verwendet werden.
Im Laufe des Einsatzes wurde vor allem die Anwendung und Interpretation von Kapnographie (CO2-Messung in der Ausatem-Luft) sowie die Durchführung von Niedrigfluss-Narkosen mit mechanischer Beatmung weiter trainiert, um so die Sicherheit der Patienten zu erhöhen. Wichtiger ökonomischer Nebeneffekt: durch die Niedrigfluss-Narkose und einen kleinen Umbau des Beatmungsgerätes in Kooperation mit dem lokalen Medizintechniker gelang es den Sauerstoff-Verbrauch um ca 75% und den Verbrauch des Narkosegases um 50 % zu senken – was zudem umweltfreundlicher ist. Auch eine Narkosegas-Absaugung konnte etabliert werden, um die Narkosegase aus dem OP zu leiten und so die Arbeitsplatzbelastung für das Personal zu minimieren.
Insgesamt wurden während des Einsatzes über 100 Anästhesie-Verfahren gemeinsam mit den engagierten Anästhesiepflegern durchgeführt, davon 15 an Kindern im Alter von 10 Monaten bis 5 Jahren. Zum operativen Spektrum gehörten vor allem allgemeinchirurgische, gynäkologische und HNO-chirurgische Eingriffe.
Als „besonderer Fall“ bleibt sicherlich auch die anästhesiologisch unterstütze Blutentnahme an einem der Klinik-Schafe in Erinnerung. Dieses Schafsblut benötigte das Labor für die Herstellung von Blutagar zur mikrobiologischen Keimanalyse von Patienten-Proben.
Auf der im Aufbau befindlichen Intensivstation konnten erfolgreich erste Patienten versorgt werden. Hierzu zählten auch einige Covid-Patienten. Ein insgesamt schwieriges und komplexes Thema, da unter dem ehemaligen Präsidenten keine Tests möglich waren und die Diagnose Covid-19 auch offiziell und gegenüber Angehörigen nicht gestellt werden durfte. Unter der neuen Präsidentin hat sich dies inzwischen geändert.
Abgesehen von der Aus- und Weiterbildung in den einzelnen Fachbereichen, gab es außerdem mehrfach Reanimationstrainings für das gesamte Personal sowie Schulungen in der Neugeborenen-Erstversorgung und –Reanimation. Auch dies wurde an vorhandenes deutsches Equipment (Defibrillator, Neugeborenen-Einheit) gekoppelt, welches nun hoffentlich in vollem Umfang von den Einheimischen genutzt und die Versorgungsqualität damit verbessert werden kann.
Aber was bleibt bei uns nach diesem längeren Einsatz besonders hängen?
Zunächst einmal sind wir dankbar für die Erfahrungen, die wir sammeln durften. Es war hochspannend die Kultur und das intensive Leben vor Ort – mit mehr Freude, aber auch näher am Tod – zu erleben. Dazu gab es viele schöne Begegnungen mit herzlichen Menschen und wir sehen, zurück in Deutschland, viele Dinge in einem anderen Licht. Auch das Studium der westlichen „Corona Situation“ von außen eröffnete uns eine neue Perspektive.
Während des Einsatzes hatten wir wiederholt die Möglichkeit andere Krankenhäuser der Region kennen zu lernen. In Anbetracht der teils desaströsen Zustände an den staatlichen Krankenhäusern wurde uns die gute Ausstattung und Organisation der St. Clare Clinic besonders deutlich, wenn natürlich auch keineswegs mit deutschem Standard zu vergleichen. Wir hoffen, dass die Etablierung der Augenklinik und die Verbesserung der Strukturen in der anästhesiologischen Abteilung die Klinik in der Zukunft auch finanziell unterstützen können. Das Ziel ist eine sich selbst finanzierende Klinik, wobei die Gebühren für die Patienten im Verhältnis zu den anderen Gesundheitseinrichtungen sehr gering sind. Aktuell schafft das St. Clare bereits über 80 Arbeitsplätze, vom Techniker bis zum Facharzt und leistet „nebenbei“ noch einen überaus wertvollen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der (armen) Bevölkerung.
Wieder in Deutschland sind wir weiterhin über Email und Whatsapp in engem Kontakt mit unseren „Schützlingen“, die teils auch zu Freunden wurden. So beantworten wir aufkommende Fragen und organisieren die Zusendung medizinischer Artikel. Die Augenklinik fertigt jeden Monat zur Leistungs- und Datenerfassung eine Liste der verschriebenen Brillen an. Beide Abteilungen erstellen am Monatsende eine Report über die behandelten Patientenzahlen.
Wir hoffen sehr, bald an die St. Clare Clinic zurückkehren zu können. Nun, da wir die Menschen und Strukturen schon gut kennen, wären auch kürzere Einsätze effektiv und sinnvoll, um das medizinische Know-How und die Patientenversorgung weiter zu verbessern.